Puppenspiel Leseprobe: Sequenz 03 (Eloi & Morlocks)
Egidius wusste nicht, womit er sich verraten hatte. Wenn er so weitermachte, waren die Tage auf der Straße für ihn gezählt.
Er stand auf und ging Richtung Ausgang. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Ledowski mit eiligen Schritten hinter ihm herkam. Er sah nicht so aus, als sei er zum Plaudern aufgelegt.
Sein Herz schlug schneller. Ledowski war ein verurteilter Gewaltverbrecher. Der gesunde Menschenverstand sagte, dass der Russe ihm eigentlich nichts anhaben konnte. In wenigen Sekunden würde er sich im Bereich der Überwachungskameras befinden und die kleinste Handgreiflichkeit würde Ledowski ruck-zuck wieder dahin zurück befördern, wo er die letzten zehn Jahre verbracht hatte.
Aber Ledowski war keiner, dem man mit gesundem Menschenverstand beikommen konnte. Ledowski war impulsiv, unberechenbar und gefährlich. Körperlich hatte Egidius ihm nichts entgegenzusetzen.
Egidius’ Hand schob sich unter seine Achsel. Der Hochleistungs-Taser von Hijutsu & Koch war da, wo er hingehörte. Egidius hoffte, dass er ihn nicht brauchen würde. Er konnte echten Ärger bekommen, wenn er in der Öffentlichkeit mit dem Ding erwischt wurde. Seine Lizenz, eine Waffe zu tragen, war schon seit Jahren abgelaufen. Klar, die Clans und Gangs zeigten sich immer öfter unverhohlen bewaffnet in der Öffentlichkeit, vor allem in den Refugien und auf dem Groundlevel, aber das war etwas anderes und würde ihm im Zweifel keine Nachsicht seitens des Staatsanwalts einbringen. Im Gegenteil.
Als ihn die Ausgangsschleuse für einen Moment vor seinem Verfolger verbarg, schlug Egidius einen Haken nach rechts und orientierte sich zur Rückseite des Gebäudes. Ein riskanter Schachzug, weil es hier kaum Deckung bis zum nächsten Gebäude gab. Aber vorne auf der Königstraße konnte er Ledowski auf keinen Fall entkommen. Dafür war der Vorsprung zu klein.
Egidius begann zu rennen und stöhnte. Er spürte sein Alter in den Knochen und die drei Klammern im Oberschenkel. Dieses Tempo würde er höchstens ein paar Meter durchhalten.
*
Stockmann beobachtete durch die Glasfassade, wie Egidius Stahl außen am Gebäude entlang hastete. Interessante Fluchtroute, dachte er anerkennend. Zunächst hatte er sich gewundert, warum sie keinen Jüngeren geschickt hatten, aber die alten Hasen waren nicht zu unterschätzen, auch wenn sie nicht mehr die Schnellsten waren.
Er hätte wissen müssen, dass Ledowski ausrasten würde. Er hatte den Eindruck, Ledowskis krakenartiges Tattoo auf Brust und Hals schnürte ihm hin und wieder die Blutzufuhr zum Gehirn ab. Stockmann hielt es für keine clevere Idee, ihren Beschatter zur Rede zu stellen. Ledowski war ein Sicherheitsrisiko, gar keine Frage.
Schade, dass man nicht ohne Ledowski an die Beute herankam. Wenn das erledigt war, nun, man würde sehen. Die weitere Verwertungskette stand und der Russe kam darin nicht mehr vor. Irgendwann musste sich ja mal jemand um ihn kümmern. Nachhaltig. Stockmann nickte traurig. Die Welt war kompliziert. Er bestellte sich einen Ephidrino...